Unser Experte für Kopfschmerzen
Prof. Dr. med. Hans Christoph Diener
Institution und Position: Wissenschaftlicher Leiter des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums am Universitätsklinikum Essen. Seniorprofessor für Klinische Neurowissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Vorsitzender der Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Prof. Diener eröffnete 1994 die erste Stroke-Unit in Deutschland.
Stand: 14.03.2018
Die Mitschrift des Interviews mit Prof. Dr. med. Hans Christoph Diener zum Thema “Kopfschmerzen”
Welche Arten von Kopfschmerzen gibt es?
Es gibt insgesamt 236 Arten von Kopfschmerzen, die wir aber natürlich jetzt nicht abhandeln wollen- es gibt zwei, die häufig sind: Das eine ist der Spannungskopfschmerz. Das ist ein dumpf drückender im ganzen Kopf ohne Begleiterscheinungen. Darunter leiden gelegentlich etwa 70 Prozent aller Menschen. Und dann gibt es die Migräne: Das sind Kopfschmerzattacken, mit heftigen Kopfschmerzen, verbunden mit Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheue, Lärmempfindlichkeit und allgemeinem Krankheitsgefühl. Darunter leiden etwa 15 Prozent aller Menschen.
Was sind die häufigsten Ursachen für Kopfschmerzen?
Bei Kopfschmerzen insgesamt muss man unterscheiden zwischen so genannten primären Kopfschmerzen – das sind Kopfschmerzarten, bei denen die Struktur des Gehirns und der Hirnhäute ganz in Ordnung sind. Und bei anderen Kopfschmerzen, die Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung sind. Jeder hat ja schon einmal eine ganz schwere Grippe erlebt und bei einer Grippe kann es zu einer Reizung der Hirnhaut kommen, und das macht dann beispielsweise Kopfschmerzen. Oder wenn man einen Kater hat, wenn man zu viel getrunken hat. Der ganz große Löwenanteil aller Kopfschmerzen sind aber die primären Kopfschmerzen, also ohne strukturelle Erkrankung des Gehirns.
Wann sollte man bei Kopfschmerzen einen Arzt aufsuchen?
Wenn Kopfschmerzen ganz plötzlich auftreten, heftigste Intensität haben und insbesondere wenn sie bei körperlicher Aktivität aufgetreten sind, dann handelt es sich um einen Notfall. Hier muss sofort ein Arzt oder die Notaufnahme eines Krankenhauses aufgesucht werden.
Was hilft gegen Kopfschmerzen?
Spannungskopfschmerzen können sehr gut mit freiverkäuflichen Schmerzmitteln behandelt werden. Dazu gehört Acetylsalicylsäure, das Aspirin® oder ein so genanntes nichtsteroidales Antirheumatikum wie Ibuprofen oder auch ein ganz normales Schmerzmittel wie Paracetamol. Wenn diese nicht ausreichend wirksam sind, dann gibt es Kombinationspräparate, in denen beispielsweise Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Koffein kombiniert sind.
Wie sollten Medikamente eingesetzt werden?
Schmerzmittel als solches sind eigentlich unproblematisch, aber es muss darauf geachtet werden, das man diese Medikamente nicht zu häufig nimmt. Wenn man freiverkäufliche Schmerzmittel ganz häufig oder jeden Tag nimmt, dann können diese Medikamente paradoxer Weise sogar Kopfschmerzen auslösen. Und es gibt eine zweite Regel: Alle Medikamente, die Abkömmlinge von Morphium sind – so genannte Opioide – sind bei Kopfschmerzen absolut tabu. Erstens, sie wirken nicht und zweitens, sie haben ein hohes Abhängigkeitspotential.
Welche Nebenwirkungen sollten beachtet werden?
Schmerzmittel können Nebenwirkungen hervorrufen. Sie haben auch Gegenanzeigen. Bei der Acetylsalicylsäure (Aspirin®) gibt es beispielsweise Erkrankungen des Magens, Magen- oder Darmgeschwüre, aber auch bestimmte Gerinnungsstörungen. Bei Paracetamol sind es Erkrankungen der Leber und bei den nicht-steroidalen Antirheumatika wie Ibuprofen wären typische Gegenanzeigen auch eine chronische Magenschleimhautentzündung oder bestehende Magen- und Darmgeschwüre.
Welche Rolle spielt Stress als Ursache von Kopfschmerzen?
Stress ist nicht die primäre Ursache von Kopfschmerzen aber ein Verstärkungsfaktor, der bei einer Neigung zu Kopfschmerzen dazu führen kann, dass diese häufiger auftreten und auch intensiver werden. Und wir haben durch Studien belegt, dass Stressbewältigungsprogramme vorbeugend sowohl bei Spannungskopfschmerz wie auch Migräne wirken. Man kann das auf ein ganz einfaches Verfahren reduzieren: Man kann morgens, wenn man aufwacht noch fünf Minuten im Bett liegen bleiben und sich Gedanken machen: Wo habe ich mir heute in meinem Alltag wieder Stress eingebaut, der eigentlich gar nicht notwendig wäre.
Gibt es erfolgversprechende nicht-medikamentöse Therapien?
Bei Spannungskopfschmerzen die sehr häufig sind oder beim chronischen Spannungskopfschmerz, der fast jeden Tag besteht, gibt es auch die Möglichkeit nicht-medikamentöser Maßnahmen. Unsere Studien haben gezeigt, dass dazu beispielsweise Ausdauersport gehört, aber auch ganz bestimmte Formen von Entspannungsverfahren, wie beispielsweise Joga und wie autogenes Training. Und ein ganz spezielles, besonders gut belegtes Verfahren ist die so genannte progressive Muskelrelaxation. Dort lernen die Patienten nacheinander Muskelgruppen anzuspannen und wieder loszulassen. Darüber hinaus gibt es speziell für schwerbetroffene Patienten auch andere psychologische Verfahren, die sich als wirksam erwiesen haben in der Vorbeugung von chronischen Kopfschmerzen.
Was kann man zur Vorbeugung gegen Kopfschmerzen tun?
Manche Patienten, die unter sehr häufigen Spannungskopfschmerzen leiden, benötigen eine medikamentöse vorbeugende Behandlung durch den Arzt. Und hier sind interessanter Weise Medikamente wirksam, die ganz ursprünglich entwickelt wurden zur Behandlung der Depression. Dann hat man herausgefunden, dass diese Medikamente in niedriger Dosis auch die Intensität und Häufigkeit von Spannungskopfschmerzen positiv beeinflussen. Das ist aber eine Form der medikamentösen Vorbeugung, die vom Arzt durchgeführt werden muss.
Wann spricht man von Migräne und was sind die Ursachen?
Migräne ist eine Erkrankung, bei der die Kopfschmerzen in Attacken auftreten. Das heißt die Betroffenen bekommen ganz heftige, meist halbseitig pulsierende und pochende Kopfschmerzen, die mit Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu, Lärmempfindlichkeit und allgemeinem Krankheitsgefühl einhergehen. Die Betroffenen ziehen sich zurück, lassen die Rollläden herunter, sie wollen keine Geräusche hören, gehen ins Bett und versuchen zu schlafen. Die Ursache der Migräne ist genetisch. Das heißt es ist eine Erbkrankheit. Und das erklärt auch, warum man eine Migräne positiv beeinflussen kann: Man kann Attacken behandeln, man kann vorbeugen, aber man kann die Migräne nicht heilen.
Was kann man bei Migräne tun? Gibt es Medikamente?
Migräne-Attacken können medikamentös behandelt werden. Bei leichten und mittelschweren Migräne-Attacken sind freiverkäufliche Schmerzmittel wirksam, wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Paracetamol. Bei schweren Attacken kommen spezifische Migräne-Mittel zum Einsatz. Die enden alle mit der Silbe -triptan und deswegen heißt diese Medikamentengruppe Triptane. Diese Substanzen sind nur bei Migräne wirksam. Fünf von diesen sind verschreibungspflichtig und zwei sind in der Zwischenzeit auch schon in der Apotheke frei verkäuflich erhältlich.
Was kann man zur Vorbeugung gegen Migräne tun?
Menschen die häufige Migräne-Attacken haben, sollen nicht häufig Schmerz- und Migräne-Mittel einnehmen, sondern hier ist eine vorbeugende Behandlung gefragt. Wir kombinieren zu diesem Zweck nichtmedikamentöse Verfahren auf der einen Seite, wie beispielsweise Ausdauersport, Entspannungsverfahren und Stressbewältigungstechniken mit medikamentösen Therapien. Die Medikamente die man zur Vorbeugung der Migräne nimmt sind alle verschreibungspflichtig. Es gibt ganz unterschiedliche, mit unterschiedlichen Wirkungsmechanismus und unterschiedlichen Nebenwirkungen. Und diese medikamentöse Behandlung muss dann mit dem Arzt abgesprochen werden.
Infos zum Experten
Ich bin Neurologe und Psychologie, habe also beides studiert. Da Kopfschmerzen sowohl etwas mit organischen Erkrankungen, als auch mit der Psyche zu tun haben ist das eine ganz gute Voraussetzung sich mit diesem Krankheitsbild zu beschäftigen.
Infos zur Klinik
Ich leite die neurologische Universitätsklinik in Essen und auch dort das Westdeutsche Kopfschmerzzentrum, das ist das größte Kopfschmerzzentrum in Europa.
Wir sehen etwa 4500 neue Patienten pro Jahr und wir haben auch ein großes Forschungszentrum, welches sich mit den Ursachen und der Behandlung von Kopfschmerzen beschäftigt.
Lebenslauf:
1960 – 1969 | Progymnasium Pfullendorf, Gymnasium Stockach Abitur |
1969 – 1970 | Wehrdienst Sanitätstruppe, Kempten, Ulm, München, Pfullendorf |
1970 | Sanitätsprüfung bei der Bundeswehr (entspricht dem Krankenpflegeexamen) |
1970/71 | Tätigkeit als Krankenpfleger im Städtischen Krankenhaus Pfullendorf in den Semesterferien |
1971 | Naturwissenschaftliche Vorprüfung (Note sehr gut) |
1972 | Ärztliche Vorprüfung (Note sehr gut) |
1975 | Ärztliche Prüfung (Note sehr gut) |
1975 | ECFMG Examen |
1976 | Medizinalassistentenzeit in den Abteilungen: Chirurgie, Krankenhaus Pfullendorf, Innere Medizin, Universität Freiburg (Prof. Gerok), Neurologie, Universität Freiburg (Prof. Jung) |
1976 | Promotion zum Dr. med. |
1977 | Wissenschaftlicher Angestellter an der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg (Prof. Jung), Stationsdienst auf einer gemischten Station, Ausbildung in den Methoden: VEP, Dopplersonographie der extrakraniellen Arterien, Elektronystagmographie |
1978 | Wechsel mit Prof. Dr. J. Dichgans an die Neurologische Universitätsklinik Tübingen, Stationsdienst auf einer gemischten neurologischen Station. Aufbau der Labors für Dopplersonographie und visuell evozierte Potentiale, Echoencephalographie |
1979 | 9 Monate ganztägige Tätigkeit im EMG-Labor und Ableitung sensibel und akustisch evozierter Potentiale, Einrichtung des Labors für Posturographie, Aufbau einer Spezialsprechstunde für Kleinhirnerkrankungen, Ausbildung im EEG einschließlich Kinder-EEG |
1979 | Ab 01.10.79 Ausbildung in der Psychiatrischen Klinik der Universität Tübingen (Prof. Dr. Heimann) auf einer geschlossenen Akut-Aufnahmestation |
1980 | Ab 01.10.80 Tätigkeit als Oberarzt auf einer Frauenstation (17 Betten) und einer Männerstation (19 Betten), Konsiliardienst für das Klinikum Tübingen einschließlich der Intensivstationen der Chirurgischen Klinik, Medizinischen Klinik, der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik und der Abteilung für Paraplegie der BG-Klinik |
1980 | Aufnahme in die Deutsche EEG Gesellschaft |
1981 | Anerkennung der Befähigung zur selbständigen Tätigkeit auf dem Gebiet der Elektromyographie durch die Deutsche EEG Gesellschaft |
1981 | Anerkennung als Arzt für Neurologie |
1982 | Habilitation und Erteilung der Venia legendi für das Fach “Neurologie und klinische Neurophysiologie”, Ernennung zum Oberarzt |
1983 | Einrichtung einer Migränesprechstunde, Ausbildungsberechtigung für EEG und EMG |
1984 | Ernennung zum leitenden Oberarzt der Abteilung für Allgemeine Neurologie der Universität Tübingen |
1984-1985 | Forschungsaufenthalt am Neurological Sciences Institute, Portland, Oregon, USA, mit regelmäßiger Teilnahme an Visiten und klinischen Konferenzen am Good Samaritan Hospital (Prof. Dr. O. Marin) und am Dept. of Neurology, (Prof. Yatsu) Oregon Health Sciences University. Teilnahme an der Sprechstunde “Movement disorders” (Dr. J. Nutt) und an der Sprechstunde “Neurootology” (Dr. O. Black) |
1985 (ab 01.07) | Tätigkeit als leitender Oberarzt der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen, Betreuung einer gemischten neurologischen Station, Labor für Dopplersonographie, Duplex-Scan, transkranielle Dopplersonographie, VEP, Posturographie, Motorik, Spezialambulanz für Kleinhirnerkrankungen und Migräne, Konsiliardienst im Klinikum einschließlich der Intensivstationen |
10 / 1987 – 4 / 1988 |
Forschungsaufenthalt am Department of Neurology, The University of New South Wales, Sydney, Australien bei Prof. David Burke zum Erlernen der Mikroneurographie am Menschen. Regelmäßige Visiten mit Prof. J. Lance im Prince Henry Hospital und Teilnahme an der Kopfschmerzsprechstunde |
1988 | wieder Leitender Oberarzt, Neurologie Tübingen |
1989 | Ruf auf die C4 Professur für Neurologie an der Universität Essen |
11/1989 |
Leiter der interdisziplinären Schmerzambulanz |
1994 | Eröffnung der ersten Stroke Unit in Deutschland |
1995 | Annerkennung der fakultativen Weiterbildung: Spezielle Neurologische Intensivmedizin |
1996 | Annerkennung der Zusatzbezeichnung: Physikalische Therapie |
1997 | Ärztlicher Leiter des ambulanten neurologischen Therapiezentrums (NETZ) (30 tagesklinische Therapieplätze) zusammen mit PD Dr. Gerhard |
2003 | Anerkennung der Zusatzbezeichnung: Spezielle Schmerztherapie |
2005 | Zusammen mit Prof. Erbel Leiter der konservativen Intensivstation |
ab 2006 | Leiter des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums |
ab 2010 | Leiter des Schwindelzentrums Essen |
Awards
2006 | Heinrich Pette Award of the German Society for Neurology |
2006 | Reinhard Heynen and Emmi Heynen Award |
2003 | Hans Jörg Weitbrecht Award for Clinical Neuroscience |
1994/95 | EU Research Fellowship |
1992 | Best Doctoral Thesis of the Year Award |
1985 | Scholarship of the German Academic Exchange Service |